Gott zu Gast bei Schuster Konrad

nach Leo Tolstoi

An diesem Morgen war Konrad, der Schuster, schon früh auf den Beinen. Er räumte seine Werkstatt auf, machte Feuer im Kamin und setzte Tee auf. Heute war ein besonderer Tag. In der vergangenen Nacht hatte Konrad davon geträumt, dass heute Gott zu ihm als Gast kommen würde.

Konrad setzte sich an den Tisch und wartete. Da hörte er draußen Schritte, die sich seinem Haus näherten. Der Schuster sprang freudig auf, öffnete flink die Tür und stand dem Briefträger gegenüber. Vor Kälte rieb sich dieser seine verfrorenen Hände. „Komm herein“, sagte Konrad zu ihm. „Trink mit mir einen warmen Tee.“ Nach einer Weile bedankte sich der Briefträger und trat wieder hinaus in die Kälte. Schnell räumte der Schuster die Tassen ab und stellte sauberes Geschirr auf den Tisch. Während er aus dem Fenster blickte und sehnsüchtig Gottes Besuch erwartete, entdeckte er einen kleinen Jungen die Straße entlanggehen. Er hatte Tränen in den Augen. Konrad rief ihn zu sich. „Warum weinst du?“, fragte er ihn. „Was ist passiert?“ Konrad erfuhr, dass der kleine Junge im Gedränge der Stadt seine Mutter aus den Augen verloren hatte und alleine den Weg nach Hause nicht finden würde. Sogleich zog sich der Schuster seine Jacke über und schlüpfte in die Stiefel. Bevor er das Haus verließ, schrieb er auf einen Zettel: „Bin gleich zurück. Bitte warte auf mich!“ Er hängte den Zettel an die Tür und ließ sie unverschlossen. Dann nahm er den Jungen an der Hand und zeigte ihm den Weg nach Hause.

Konrad kehrte erst heim, als es bereits dunkel wurde. Von draußen erblickte er Licht in seinem Zimmer. Sein Herz machte einen Sprung vor Freude: Gott ist gekommen! Doch im nächsten Moment erkannte er, dass es die Frau war, die oben in seinem Haus wohnte. Und er erfuhr von ihr, dass ihr Sohn Petja seit Tagen an hohem Fieber litt. Sie war zu ihm gekommen, weil sie seinen Rat und seine Hilfe brauchte. Gemeinsam stiegen die beiden die Treppe hinauf und wickelten Petja in feuchte Tücher. „Ruh dich ein wenig aus.“, sagte Konrad zu der Mutter. „Ich werde hier an Petja’s Bett bleiben und für ihn da sein.“ Erst weit nach Mitternacht kehrte er wieder in seine Werkstatt zurück. Konrad war zutiefst enttäuscht. Der Tag war vorüber und Gott war nicht zu ihm gekommen. Müde und erschöpft legte er sich schlafen.

Plötzlich hörte er eine Stimme:
„Danke Konrad, dass ich mich bei dir aufwärmen durfte.“
„Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.“
„Danke, dass du mir beigestanden hast.“
„Danke, dass ich, dein Gott, heute bei dir zu Gast sein durfte.“

Kategorien: Adventskalender

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